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selbstentlader
Selbstentlader. Foto 1998

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Objektführer / Aachen

Aachen_Talbot
Jülicher Str. 213

Texte und Dokumente
Walter Buschmann: Fa. Talbot in Aachen

 

panorama
Talbot, Ansicht um 1900

Walter Buschmann
Fa. Talbot in Aachen

Geschichte
1838 gründeten der belgischen Postkutschenmacher Pierre Pauwels und Hugo Jacob Talbot eine "Eisenbahn-Wagen-Fabrik" in einem Werkstattbauten vor dem Adalbertstor am heutigen Adalbertsteinweg.

pauwels
Erste Anlage vor dem Adalbertstor, 1838

Nach einer unruhigen Unternehmensentwicklung mit neuen Produktionsstandorten 1845 in der Nähe des Nordbahnhofes und 1860 an der Jülicher Straße (gegenüber dem damaligen Dampfkesselwerk von Jaques Piedboef) plante Georg Talbot 1893/94 nach nordamerikanischen Vorbildern eine neue Fabrik auf dem Grundstück Jülicher Straße 213. Die Anlage galt als vorbildlich für die damalige Zeit, war mit allen technischen Errungenschaften jener industriellen Entwicklungsperiode ausgestattet: elektrischer Gruppenantrieb der Maschinen, Nietanlage, Luftdruckhämmer. Der Transport der Waggons zwischen den verschiedenen Werkstatthallen erfolgte durch eine Schiebebühne. Die Backsteingebäude wurden von dem Maurermeister Breuer erstellt, die segmentbogigen Binder entwarf und berechnete der renommiere, an der RWTH Aachen lehrende Tragwerksplaner Otto Intze. Durch einen 1891 von Georg Talbot entwickelten und mit Reichspatent geschützten neuartigen Wagentyp, den sogenannten Selbstentlader, der zum Hauptumsatzträger des Unternehmens wurde entwickelte sich das Werk und wurde stetig erweitert. Bestimmend im Erscheinungsbild der Fabrik blieben die segmentbogigen Dächer für die dicht an dicht parallel angeordneten Werkshallen. Die Binder wurden stets nach den Berechnungen von Intze in den eigenen Werkstätten von Talbot gebaut. Zur Jahrhundertwende arbeiteten 350 bis 400 Arbeiter im Werk.

schaubild
Schaubild um 1938. Im Bildzentrum die Hallen von 1893/94 mit Schiebebühne. Rechts: Tannhäuserhalle

Noch während des Ersten Weltkriegs begann 1917 mit dem Bau der Hindenburg-Halle eine neue Periode im Baugeschehen auf dem Werksgelände. Es war der Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen großen Hallenkomplexes mit Georg-, Gustav- und Sandstrahlhalle (1912/22). In dieser Zeit 1921-23 entstanden auch das Verwaltungsgebäude, das Pförtnerhaus, der Arbeiterspeisesaal und gegenüber an der Jülicher Straße die Werkssiedlung.

Mit einem großen Exportauftrag für D-Zug-Wagen, Personenwagen für die Strecke Paris-Versailles und Güterwagen war das Werk 1928/29 mit 1700 Beschäftigten voll ausgelastet. 1927 wurden mit der Tannhäuserhalle die Anfänge für einen neuen großen Hallenkomplex gelegt. Erst nach der Weltwirtschaftskrise wurde die Tannhäuserhalle mit Verwaltungsgebäude und Querhallen 1936 bis 1941 weitergebaut.

Nach der durch die Rüstungsaufträge in der NS-Zeit bedingten Scheinblüte brachten die Fliegerangriffe schwerste Kriegsschäden: durch ca. 3000 Brandbomben getroffen gingen 60% der Gebäude und 30% der Maschinen verloren. Mit Besetzung der Stadt Aachen durch die Amerikaner wurden die Produktionsanlagen unbrauchbar gemacht.

Unter Weiterentwicklung des Selbstentladers und beachtlichen Auslandslieferungen gelang die Wiederbelebung des Unternehmens, das 1954 wieder 1100 Beschäftigte hatte und 1957 die Hälfte des Exports der gesamten deutschen Waggonindustrie bewältigte. 1995 erfolgte die Übernahme durch den kanadischen Technologiekonzern Bombardier.

Bedingt durch die Kriegszerstörungen sind auf dem Werksgelände nur wenige historisch bemerkenswerte Gebäude überliefert, die zur Entwicklungsphase der frühen 1920er Jahre gehören.

Verwaltungsgebäude 1921-23, Architekt: Regierungsbaumeister Musall
Anders als die weit von der Jülicher Straße zurückliegenden Werkshallen wurde das Verwaltungsgebäude mit einer nur geringen räumlichen Distanz zur Straße, dennoch aber so angeordnet, das es hier das Straßenbild mitbestimmt. Der Raum zwischen Gebäude und Straße wurde für eine von Buchsbaumhecken und Rasenflächen umgebende, zum Hauptportal führende Auffahrt genutzt.

verwaltung
Verwaltung. Historisches Foto

verwaltung
Verwaltung. Foto 1998

Der Backsteinbau ist, wie es im Erläuterungsbericht zum Bauantrag 1921 hieß "... äußerlich, ...einfach aber doch ansprechend in alter Aachener sogenannter Couven'scher Stilart gehalten ..." Kennzeichen der gewählten traditionalistischen Formensprache sind die stichbogigen, mit Blaustein gerahmten und von Keilsteinen bekrönten "Couvenfenster", die Einrahmung des aus dunklen Ziegelsteinen erstellten Baukörpers und des fünfachsigen Mittelrisalits durch Rustika und das in geschwungenen Barockformen eingefasste Portal. Die Wirkung des Portals wird zusätzlich gesteigert durch die insgesamt in Naturstein ausgeführte Mittelachse und die dem Portal vorgelagerte Freitreppe. Das hohe mit Moselschiefer gedeckte Mansarddach und der Giebel über dem Mittelrisalit sind leider nicht erhalten und wurden nach dem Krieg ersetzt durch ein flaches Satteldach und einen gebrochenen Dreiecksgiebel über dem Mittelrisalit.

Das 71,5 lange Verwaltungsgebäude hat einen T-förmigen Grundriß mit einem mittig an den Hauptkörper ansetzenden Hinterflügel für eine Art Großbüro, in dem 61 männliche und 28 weibliche Angestellte an dicht gestellten kleinen Tischen arbeiteten.

Hinter dem Hauptportal erstreckt sich ein großzügiges Treppenhaus mit einer um ein weites Treppenauge herum gelagerten Steintreppe. Treppenläufe und die Unterzüge der Treppenpodeste sind mit Stuckprofilen und Stuckfriesen mit floralen Motiven geschmückt. Die Treppenbrüstungen sind aus Schmiedeeisen mit reich geschwungenen Ornamentformen gefertigt.

Der Bau des Verwaltungsgebäudes ergab sich aus den durch Krieg und Revolution erschwerten Handelsbeziehungen, die eine Verdoppelung der Angestellten erforderte. Es gab große Räume für einen Zeichensaal und die kaufmännische Abteilung. Im Obergeschoß lagen die Büros der Direktoren: Gustav und Georg Talbot und hinter dem Mittelrisalit Max Krahé. Im Dachgeschoß waren sechs Beamtenwohnungen untergebracht.

Arbeiterspeisesaal, 1921
Direkt an der Jülicher Straße liegend entstand ein Speisesaal, um den Arbeitern die Gelegenheit zu geben, das von den Angehörigen gebrachte Mittagessen nicht mehr am Tor oder auf der Straße in Empfang nehmen zu müssen, sondern in  diesem, dem eigentlichen Werkstor vorgelagerten festen Haus. Die Angehörigen selbst sollten im Arbeiterspeisesaal während der Mittagspause ebenfalls bleiben dürfen.

Der Arbeiterspeisesaal ist ein eingeschossiger Backsteinbau mit Mansarddach. Die Vorderfassade wird gegliedert durch ein mittig über dem Hauptbaukörper angeordnetes Zwerchhaus. Seitlich ist eine Gebäudeachse etwas zurückspringend  mit einer großen Durchfahrt und einem zweiflügeligen Stabgittertor ausgebildet. Es handelte sich hierbei nicht um das Werkstor, sondern um die Erschließung für einen Garagenhof, der damit in dieser Frühzeit des Autos gebührend im Außenbild des Werkes angezeigt wurde. In den Garagen standen drei Lastautos und drei Personenwagen - vermutlich für die drei Werksdirektoren.

sozial
Arbeiterspeisesaal. Foto 1998

An der Rückseite wird der Hauptbau durch einen kräftig vorspringenden, übergiebelten Mittelrisalit akzentuiert. Das schiefergedeckte Dach wird horizontal gegliedert durch ein weißes Gesims. Die Gauben sind korrespondierend mit weiß gestrichenen Holzrahmungen eingefasst.

Die Binnengliederung der Backsteinfassaden wird geprägt durch die hohen Rundbogenfenster über Natursteinfensterbänken. Die Fenster sind mit im Ziegelmauerwerk erhaben ausgebildeten Schlusssteinen versehen, die Gebäudeecken durch das schichtweise vor- und rückspringende Ziegelmauerwerk wie Eckrustika ausgebildet.

Das Gebäude wird an der Rückseite über eine breite Freitreppe erschlossen. Diese Treppe lehnt sich gegen eine Stützmauer, die rechtwinklig abknickend bis zum Pförtnerhaus führt und einen kleinen gepflasterten und begrünten Hof einfriedet. Der Rückseite des Arbeiterspeisesaales vorgelagert ist in die Stützwand ein Brunnen mit halbkreisförmigem Becken integriert.

Pförtnerhaus, 1921
Etwa 20 m hinter dem Arbeiterspeisesaal ist das Pförtnerhaus mit Werkstor angeordnet. Das Pförtnerhaus ist ein eingeschossiger Backsteinbau mit schiefergedecktem Mansarddach. Über der Vorderfassade erhebt sich ein zweiachsiges Zwerchhaus mit Rundfenster im Giebeldreieck. Das horizontale Gesims im Dach und die Umrahmungen der Fenster sind aus weißgestrichenem Holz gefertigt. In den Backsteinfassaden befinden sich segmentbogigen Öffnungen mit im  Ziegelmauerwerk erhaben ausgebildeten Schlusssteinen.

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Pförtnerhaus. Histor. Foto

Das Pförtnerhaus war im Inneren eine weitgehend ungeteilte Halle mit zwei doppelflügeligen Toren in jeder Traufseite. Zwischen den Toren befand sich eine relativ kleine Pförtnerloge. Das Haus bildete also den eigentlichen Werkszugang für die Arbeiter, wobei wahrscheinlich die eintreffenden Arbeiter durch die rechten Toröffnungen hinein und die das Gelände verlassenden Arbeiter durch die linken Tore hinausgingen. Ob mit diesem Pförtnerhaus ein Stechkartensystem verbunden war ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich.

Tannhäuserhalle, 1927. Erweiterung 1936-41
Der Kernbau von 1927 besteht aus einer Haupthalle mit der gewaltigen Spannweite von 68m und einer Querhalle. Zwischen den segmentbogigen Bindern der Haupthalle mit Streben- und Ständerfachwerk verlaufen quer Belichtungsraupen, die für eine gute Belichtung auch der zentralen Flächen in der Halle sorgen. Ein Mitteltragwerk mit länglaufendem Fachwerk auf Stahlstützen direkt unter den Segmentbogenbindern dient zur zusätzlichen Abtragung der Lasten. 1936-41 wurde die Tannhäuserhalle um 39m verlängert, eine zweite Querhalle angefügt und ein Verwaltungstrakt vorgelagert. Die Werkshallen haben Fassaden in Stahlfachwerkbauweise. An den treppenförmigen Giebel befinden sich in weißer Farbe die Inschriften: „Talbot“ und „Talbot Waggonbau“. Die Benennung Tannhäuserhalle erfand einer der Werksdirektoren nach einem beeindruckenden Opernabend.

tannhauserhalle
Tannhäuserhalle. Foto 1999

Bedeutung
In der Geschichte der Industrialisierung nahm die Entstehung und Entwicklung der Eisenbahn nicht nur als Verkehrsmittel, sondern als Auftraggeber eine zentrale Position ein. Traditionelle Industriebranchen, wie insbesondere die Eisen- und Stahlindustrie erhielten bedeutende Impulse und neue Branchen wie der allerdings eng mit dem Maschinenbau verwachsene Lokomotivbau entstanden. Auch die Waggonfabriken gehörten – gegründet auf den Postkutschenbau - zu den neu entstehenden Branchen des Eisenbahnzeitalters.

Die Firma Talbot in Aachen ist eine der alten und großen Waggonbaufirmen in Deutschland. Auch wenn Bauten und Anlagen am Gründungsort nicht mehr vorhanden sind ermöglichen dennoch auch die 1893 am neu begründeten Standort entstandenen denkmalwerten Bauten eine Erinnerung an die industriegeschichtliche Bedeutung des für Deutschland und für Aachen bedeutenden Unternehmens.

In der Gestalt des 1921 bis 1923 entstandenen Verwaltungsgebäudes bediente sich das Unternehmen im Gegensatz zur generellen Tendenz in der Industrie jener Jahre eher traditionsreicher, mit der Geschichte Aachens verbundener Formen. Dieses Bauwerk ist noch ein spätes Zeugnis des Historismus und widerspricht damit der damaligen Hinwendung zur Moderne. Das Verwaltungsgebäude der Firma Talbot zeigt über seine industriegeschichtliche Bedeutung hinaus eine zumindest auch in Teilbereichen der Industrie gültige Distanz zur Moderne. Die Tannhäuserhalle ist dagegen kompromisslos in den Formen der Fabrikarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts ausgeführt und erinnert an die großformatigen Zechen- und Industriebauten des Ruhrgebiets.

Das Verwaltungsgebäude war Teil einer Gruppe von Bauten, die von der Firma Talbot 1921- 23 an der Jülicher Straße errichtet wurden. In Verbindung mit dem Arbeiterspeisesaal, Pförtnerhaus und Siedlung wurde ein ganzes Programm neuer Nutzungen realisiert, deren bauliche Umsetzung ein neues städtebauliches Verhältnis des Unternehmens zu seiner Umgebung mit sich brachte mit Arrondierung des Werksgeländes. Bislang präsentierte sich die Fabrik zum öffentlichen Raum aus der Distanz heraus; nun war das Unternehmen viel unmittelbarer zum Straßenraum wirksam. Diese zumindest in der Architektur allgemein nachvollziehbare Hinwendung von Fabrik- und gerade auch Zechenanlagen zur Öffentlichkeit war eine seit etwa der Jahrhundertwende verstärkt auftretende Tendenz. Es war naheliegend diese Un ternehmenspräsentation durch Bauten der genannten Art vorzunehmen, so dass die Nahtstelle zwischen dem Geltungsbereich der Werksordnung und der Öffentlichkeit exakt definiert wurde durch Toranlagen und Pförtnerhäuser, die allerdings mit weiteren Funktionen verknüpft wurden um den Bauten mehr Masse und Dominanz geben zu können. Charakteristischerweise kombinierte man Toranlagen häufiger mit Speisehäusern für die Arbeiter. Es war allgemein üblich, dass die Arbeiter in der Mittagszeit das Essen meistens von ihren Frauen ans Werkstor gebracht bekamen. Historische Fotos belegen gerade diese Funktion der Werkstore, die also nicht nur als Ein- und Ausgang für die Beschäftigten, sondern auch zur Essensübergabe genutzt wurden. Zur Mittagszeit sammelten sich dort Frauen und teilweise auch Kinder, um den Arbeitern das Essen in Taschen oder Körben am  Werkstor zu übergeben. Der Arbeiterspeisesaal der Fa. Talbot ist als bauliche Umsetzung eines in der Industrie über viele Jahrzehnte typischen Sozialverhaltens zu verstehen.

Literatur
Engelhardt, Viktor: Waggonfabrik Gustav Talbot Aachen. Eine Festschrift zur Hundertjahrfeier, Berlin 1938

Gilson, Norbert: Zu Fuß durch Aachens Industriegeschichte, Aachen 1998, S. 122

Hermanns, Will: Heimatchronik der Kur- und Kronstadt Aachen, Köln 1953

Krohn, Heinrich:...auf der Schiene. Die Geschichte der Reisezug- und Güterwagen, München 1988

Schadendorf, Wulf: ...von Europas Eisenbahnen, München 1963

Schnuer, Günther: Der Automobilbau in Aachen 1896-1928, Aachen 1990